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Die Feddersen Wierde als Beispiel altsächsischen Lebens

von Thomas Reyer zu Wigmodyn

Die Feddersen Wierde ist eine Wurt von vier Metern Höhe auf einer Fläche von rund 4 ha. Sie liegt im Land Wursten, einem Seemarschengebiet nördlich von Bremerhaven. Die Wurt wurde 1955 - 63 nahezu vollständig ausgegraben und gibt mit ihren erheblichen Funden an Keramik und Metall einen sehr guten Einblick in die Kultur der nordseegermanischen Stämme in der Zeit zwischen 1oo. v.d.Zw. und dem 4./5. Jhd. n.d.Zw.. Gut erhaltene Holzfunde geben Aufschluß über die Siedlungs- und Hausform, unterschiedliche Größenverhältnisse können Auskunft geben über eine sich entwickelnde oder verändernde Sozialstruktur innerhalb des Dorfes.

Der Rückzug des Meeres machte hier gegen Ende des 1. Jhd. v.d.Zw. eine Landnahme durch den germanischen Stamm der Hauken möglich. Es entstanden auf einem 10 km langen Brandungswall insgesamt acht Siedlungsschichten. Das Marschengebiet war während der ersten fünf Jahrhunderte n.d.Zw. etwa 300 ha groß, und die beiden Marschendörfer waren über zwei Priele mit den Geestsiedlungen im Wigmodien- und Hadulohagau verbunden, mit denen reger Handel betrieben wurde.(1)

Die Siedlung der Feddersen Wierde entstand auf einer von zwei Prielgabeln eingefaßten Insel. Darauf bildeten sich die ersten Höfe. Die Höfe der vier ältesten Siedlungshorizonte waren etwa gleich groß, wurden reihenförmig hintereinander angeordnet und zu ebener Erde angelegt. Die fünf Wirtschaftsbetriebe der ersten durch haukische Siedler angelegten Siedlungsschicht lagen neben von Gräbern begrenzten Ackerfluren auf dem Brandungswall. Um Platz für die elf Gehöfte des jüngeren Flachsiedlungshorizontes zu schaffen, mußte das Niederungsgebiet östlich des Brandungswalls durch Erdaufträge erhöht werden.(2)

Im 2. Jhd. n.d.Zw. wurde wegen des Anstiegs des Sturmflutspiegels die reihenförmige Siedlunganlage zugunsten einer radialen aufgegeben. Um einen freien Platz herum wurden Kernwurten für die einzelnen Höfe aufgeworfen. Das weitere Steigen der Sturmfluten erforderte eine stetige Erhöhung und einen Ausbau der Wurten, so daß sie im 3. Jhd. zu einer großen länglichen Dorfwurt zusammenwuchsen.(3)

Die Ausweitung des Siedlungsgebietes erfolgte nach einem Planungsschema und ging mit wirtschaftlichen und sozialen Wandlungen einher. Ihren archiologischen Niederschlag haben diese Veränderungen in der Ablösung des Wohnstallhauses mit Speicher und einzelnen Nebengebäuden, durch eine sog. Mehrbetriebseinheit gefunden.(4) Ein Wirtschaftsverband bestand aus einem großen Wohnstallhaus und zusätzlichen kleineren Wohnbauten ohne Stallteil. Der Zusammenschluß mehrerer Höfe ist vermutlich die Antwort der Bewohner auf veränderte Wirtschaftsbedingungen, die ihre Ursache wiederum in einem Anwachsen der Bevölkerung bei gleichzeitiger Verschlechterung der Umweltbedingungen infolge des Ansteigens der Überflutungen hatten. Das Mehrbetriebsgehöft ist Ausdruck einer inneren Expansion, d.h. einer familieninternen Aufspaltung, die natürlich auch Rangunterschiede zwischen den einzelnen Familienmitgliedern begründete.(5) Der Zwang zur Planung und Durchführung des Wurtenbaus hat diese Tendenz sicherlich noch gefördert. Die fehlende Möglichkeit, das Acker- und Weideland auszubauen, bewirkten zunächst einen Stillstand und später einen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion. Die Grundlage der Nahrungswirtschaft bildeten der Anbau von Gerste, Pferdebohnen, Lein und Leindotter als Ölpflanzen und Hafer, sowie die Haltung von Rind, Schaf, Ziege, Pferd, Schwein und Hund. Die Jagd und der Fischfang spielten nur eine untergeordnete Rolle.(6)

Seit dem Ende des 1. Jhds. bildete sich ein aus der übrigen Siedlungsgemeinschaft hervorgehobener Wirtschaftsverband heraus, der als haukischer Herrenhof bezeichnet wird.(7) Kann man ihn im 2. Jhd. mit mehreren Wohnstallgebäuden und einem Handwerkshaus noch als normale, wenn auch große Mehrbetriebseinheit bezeichnen, so setzt er sich im 3. Jhd., in bereits sächsischer Zeit, durch eine zusätzliche Versammlungs- oder Wohnhalle, ein Speichergelände, einen Viehauftriebsplatz, ein Werkstattgebiet, eine Massierung römischer Importe, sowie Raubgegenstände und eine Palisadenbefestigung deutlich von den übrigen Betrieben der Siedlung ab. So konnten das Schmieden von Eisen und das Gießen von Bronze auf dem Werksgelände des Herrenhofes nachgewiesen werden.(8) Der auf der Organisation von Handwerk und Handel beruhende Wirtschaftskomplex scheint seinen Bewohnern aufgrund seiner wirtschaftlichen Bedeutung eine bevorrechtigte Stellung eingeräumt zu haben.

Im Verlauf des 4./5. Jhds. geht die Besiedelung allmählich zurück. Die Mehrbetriebsgehöfte und damit auch die geplante Dorfanlage lösen sich auf, so daß im letzten Siedlungshorizont schließlich kleinere Wohnstallhäuser vorherrschen. Lediglich der Herrenhof als Träger von Handel und Handwerk existiert fast unverändert weiter. Die stetige Zunahme von Überflutungen führte schließlich dazu, daß die Erträge der Landwirtschaft zur Ernährung der Bevölkerung nicht mehr ausreichten, und die Siedlung im 5. Jhd. aufgelassen wurde, und seine Bewohner auf die Geest oder nach England auswanderten.(9)

Fußnoten
(1) Hans-Jürgen Häßler: "Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens", Stuttgart 1991.
(2) Werner Haarnagel: "Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern.
Das Elbe-Weser-Dreieck III: Exkursion Brhv, Cuxhv., Worpswede", Mainz 1976
(3) W. Haarnagel: ebd., S.57
(4) W. Haarnagel: ebd., S.60
(5) H-J Häßler: ebd., S. 483
(6) H-J Häßler: ebd., S. 484
(7) W. Haarnagel: ebd., S.63
(8) W. Haarnagel: ebd., S.65
(9) W. Haarnagel: ebd., S.70