4. Was ist Sächsisch?


Die heutigen "Sachsen", also die Bewohner der wettinischen Mark Meißen, sind durch die Einwanderung von süd- und mitteldeutschen Siedlern - Franken, Hessen, Bayern und vor allem Thüringer - in diese ursprünglich slawischen Gebiete um Dresden, Chemnitz und Leipzig im Verlauf der deutschen Ostsiedlung (11.-13. Jahrhundert) entstanden (Higounet, 1986). Diese neue, namenlose süd/mitteldeutsch-slawische Bevölkerung hat im 16. Jahrhundert den Titel ihres Herrschers als Eigenbezeichnung übernommen und damit einen aus Norddeutschland stammenden Namen erhalten, zu dem es keinerlei sonstige Verbindung gibt. Auch ihr Dialekt - das heutige "Sächsisch" - ist nicht die sächsische Sprache: Sächsisch ist die Sprache der Niedersachsen, die heute als "Plattdeutsch" oder "Niederdeutsch" bezeichnet wird. Niederdeutsch geht auf die altsächsiche Sprache zurück und wurde bis in das 16. Jahrhundert "Sächsisch" (auf Sächsisch/Niederdeutsch "Sassisch") genannt (Lent, 1971). Auch Otto der Große (936 bis 973) sprach Sächsisch, also (Alt-)Niederdeutsch, welches im Mittelalter als vom Süddeutschen völlig eigenständige Sprache verstanden wurde. Der heute als "Sächsisch" bezeichnete Dialekt gehört dagegen zum Ostmitteldeutschen und ist eine Mischsprache, die von den aus mittel- und süddeutschen Sprachgegenden stammenden Siedlern der Ostsiedlung geschaffen wurde und die anfangs "Meißnisch" genannt wurde (Dloczik et. al., 1990).

Im Zuge der deutschen Ostsiedlung haben sich auch (Nieder-)Sachsen in slawischen Gebieten angesiedelt, und zwar in Ostholstein, Mecklenburg und Pommern (Higounet, 1986). Damit breitete sich auch die sächsische Sprache (Niederdeutsch) und das sächsische Recht über ganz Norddeutschland aus. Das sächsische Recht ist im "Sachsenspiegel" aus dem Jahre 1222 festgehalten, der in niederdeutscher Sprache verfasst wurde. Dieser "Speyghel der Sassen" war das bedeutenste und einflußreichste Rechtsbuch des Mittelalters und fand bis in das Baltikum Verbreitung (Kurowski, 1996). "Sassisch" war auch die Sprache der Hanse (13.-15. Jahrhundert). Noch bis etwa 1600 waren alle literarischen und amtlichen Druckwerke der Hansestädte niederdeutsch (Hucker, 1997). Die überwiegend norddeutschen Hansestädte dominierten den Ostseehandel und so kamen die Finnen erstmals mit den Deutschen in Kontakt - als Folge wird Deutschland in der finnischen Sprache bis heute als "Saksa" bezeichnet (Capelle, 1998). Ein spätmittelalterliches Bündnis unter den Hansestädten zwischen Elbe und Weser, also im heutigen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, wurde "Sächsischer Städtebund" genannt. Bremer Kaufleute bezeichneten sich im 13. Jahrhundert als "mercatores saxonie", als sächsische Kaufleute (Hucker, 1996).

Im alten Stammesgebiet der Sachsen westlich der Niederelbe konnten die Welfen bis zum 19. Jahrhundert trotz zahlreicher Aufsplitterungen in verschiedene Linien einen Großteil des alten Sachsen wieder in Besitz nehmen (Königreich Hannover und Herzogtum Braunschweig). Den Anspruch auf den Titel "Herzog von Sachsen" haben sie nie aufgegeben, was durch die Wahl des Sachsenroßes (weißes Pferd im roten Feld) zum Wappen des Welfenhauses im Jahre 1361 ausgedrückt werden sollte (Lent, 1971). Von 1714 bis 1837 war der Kurfürst von Hannover (bzw. König nach der Erklärung Hannovers zum Königreich im Jahr 1814) auch König Englands. Der Zufall der Geschichte hat somit dazu geführt, daß es durch diese Personalunion wieder eine Verbindung zwischen "Altsachsen" und "Angelsachsen" gab. Im Jahre 1866 erlitten die Welfen einen schweren Rückschlag: Im Preußisch-Österreichischen Krieg verbündete sich das Königreich Hannover, das dem Vormachtstreben Preußens in Norddeutschland voll Mißtrauen gegenüberstand (Scheuch, 1997), mit Österreich. Nach ihrem Sieg annektierten die Preußen Hannover, dieses wurde eine preußische Provinz.

Mit der Gründung des Bundeslandes Niedersachsen 1946 wurde zum Teil bewußt auf die altsächsische Geschichte Bezug genommen und dieses mit dem Sachsenroß im Landeswappen auch nach Außen verdeutlicht. Auch im Wappen Nordrhein-Westfalens findet sich das Sachsenroß als Vertreter des westfälischen Landesteils. Vergleichbar mit dem Stamm der Bajuwaren in Bayern und dem der Alamannen in Baden-Württemberg steht der Stammesverband der (Alt-)Sachsen am Anfang der niedersächsischen Geschichte (Häßler, 2004). Die Mark Meißen (also das heutige Bundesland "Sachsen") und ihre Bewohner als "Sachsen" zu bezeichnen, kann dagegen durchaus als ein großer Irrtum der Geschichte bezeichnet werden...

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